Ich habe gerade
den Bericht der Frühlingskindermama zur Blogparade von Mama notes gelesen und
sehr viel Lust dazu bekommen, über meine Kindheit in der DDR zu schreiben.
Vorschulzeit
Vorschulzeit
Ich kam im Mai
1974 im Krankenhaus Betanien zur Welt. Meine Mama war 29 Jahre alt, als ich
geboren wurde. Eine alte Mutter, aber das hatte Gründe. Wie bei der Frühlingskindermama hat meine Mutter mich
nicht lange gestillt. Das Milasan war ja so gut und nahrhaft! Wir wohnten im
Leipziger Osten, meine Eltern bekamen eine tolle Wohnung mit Wohnzimmer,
Schlafzimmer, Kinderzimmer, Küche und Bad. Zentralheizung hatten wir nicht,
sondern einen Berliner Ofen. Ich erinnere mich noch, wie meine Mama im Winter
immer morgens in mein Zimmer kam, um den Berliner Ofen anzuheizen. Es war zu
kalt, ich blieb noch ein wenig im Bett bis es anfing, warm zu werden. Ich war
nicht in der Krippe sondern bei einer Art Tagesmutter, an die ich aber keine
Erinnerungen habe. Meine Mutter hat schnell wieder gearbeitet. Sie war bei der
HO (Handelsorganisation) als Abteilungsleiterin angestellt und hat Zeit ihres
Lebens im Lebensmitteleinzelhandel gearbeitet, auch nach der Wende und bis zur
Rente. Das hatte viele Vorteile, ich sage nur "Vitamin B" wie
Beziehungen. Es war ein richtiges Netzwerk, wenn die Verkäuferin aus der
Blechbüchse (so nannten wir das grosse Kaufhaus in Leipzig) nette Klamotten
hatte, rief sie meine Mutter an, die ihrerseits Bananen zurücklegte usw. Uns
fehlte es nie an etwas dank Vitamin B.
Zeugen des
Töpfchentrainings sind zahlreiche Bilder von mir. Ich selbst habe es trotz der
Ostprägung nie angewandt und mich bei meinem ersten Kind oft mit meiner Mutter
gestritten, bis sie begriffen hat, dass sie aufgeben muss. Es liegt sicherlich
daran, dass ich mit 18 Jahren von zu Hause weg gegangen und somit dem ostdeutschen Einfluss entronnen bin.
Ich kam mit 1
Jahr dann in den Kindergarten in der Linnéstrasse. Meine Oma väterlicherseits
holte mich immer ab, da meine Mutter ungünstige Arbeitszeiten hatte und wir
gingen oft nebenan in den Botanischen Garten, das habe ich geliebt. Mein Vater
war nie da, er war sehr aktiv im Handball und nahm sogar als Trainer bei den
Olympischen Spielen in Moskau 1980 teil, von denen er mir einen Olympiabären,
das Maskottchen, mitbrachte. Da er auch ein Schürzenjäger war, ging die Ehe
letztendlich in die Brüche, obwohl ich eigentlich gezeugt wurde, um die Ehe zu
retten. Es war mir nicht gelungen. Vielleicht liegt es auch daran, dass mein
Bruder, der 9 Jahre vor mir auf die Welt gekommen war, im Alter von 5 Monaten
an einem Loch im Herzen und einer Lungenentzündung im Krankenhaus verstorben
war. Ich weiss es nicht. Ich war also 4 Jahre alt und mit meiner Mutter allein.
Meine Omi väterlicherseits half uns viel, da meine Mutter ihre Eltern schon
verloren hatte und somit auf die Hilfe angewiesen war. Ich erinnere mich daran,
dass ich schon im Vorschulalter abends allein zu Hause war und im Bett auf
meine Mutter wartete, dass sie von der Arbeit zurück kam. Wir hatten kein Auto,
sie fuhr mit dem Fahrrad. Sie brachte mich auch mit dem Fahrrad in den Kindergarten.
Ihre Arbeitsstelle war gleich nebendran. Ich erinnere mich an die Abende, an
denen ich auf meinem Bett sass und aus dem Fenster starrte und auf meine Mama
wartete. Sie kam und kam nicht, ich malte mir schlimme Sachen aus....war
sicherlich etwas zeitig, als Kind allein zu bleiben, aber so war es nun damals.
Meine Eltern hatten vereinbart, dass mein Vater mich nicht mehr sieht, da mich
seine sporadischen Besuche aller paar Monate mal ziemlich aus der Bahn warfen.
Dazu folgender Bericht: Was ich gern meinen Vater gefragt hätte.
Ich wurde 1980 im Alter von 6 Jahren eingeschult. Den Schulweg ging ich von Anfang an allein mit einer Freundin aus dem selben Wohnhaus, die 1 Jahr älter war. Nach dem vormittäglichen Unterricht ging ich in den Hort und machte Hausaufgaben. Und dann ging ich allein nach Hause. Ich war von Anfang an ein Schlüsselkind und machte mir sogar oft abends das Abendbrot alleine. Mit 6 Jahren konnte ich den Gasherd bedienen. Ich spielte mit der Freundin aus dem Haus und den anderen Kindern auf dem Innenhof unseres Wohnblocks. Die Grosseltern meiner Freundin hatten auch mit ein Auge auf mich. Zehn vor sieben schaute ich mir den Sandmann an und dann ging es ab zum Zähneputzen und ins Bett, zumindest theoretisch. Manchmal erwischte mich meine Mutter dabei, wie ich noch im Bad war, als sie gegen acht nach Hause kam.
Ich erinnere mich
auch daran, dass ich den Kindertag hasste. Am 1. Juni wurden traditionsgemäss
jedes Jahr Sportfeste organisiert. Wir hatten keine Schule und gingen in
Sportsachen direkt auf den Sportplatz. Dort mussten wir überall teilnehmen und
danach gab es die Medaillen. Ich war nicht sehr sportlich und hatte nie eine.
Danach gab es Limonade und Kuchen. Das fand ich besser.
Der einzige Sport, der mir wirklich lag, war das Schwimmen. Ich ging jahrelang zum Schwimmtraining und hatte auch Erfolgserlebnisse. Beim Handball hatte ich wohl auch ein wenig Talent. Muss wohl von meinen Eltern vererbt worden sein, beide waren Handballer. Das fand ich übrigens gut in der DDR: das systematische Suchen von Talenten und deren Förderung. Das finde ich heute echt schwierig.
Der einzige Sport, der mir wirklich lag, war das Schwimmen. Ich ging jahrelang zum Schwimmtraining und hatte auch Erfolgserlebnisse. Beim Handball hatte ich wohl auch ein wenig Talent. Muss wohl von meinen Eltern vererbt worden sein, beide waren Handballer. Das fand ich übrigens gut in der DDR: das systematische Suchen von Talenten und deren Förderung. Das finde ich heute echt schwierig.
Als ich 7 Jahre
alt war, schlug man meiner Mutter vor, mich in eine Russischklasse zu befördern.
Was war das? Eine Klasse mit erweitertem Russischunterricht. Es gab sie als
besondere Klasse an einigen Schulen des Kreises bzw. in Grosstädten wie Leipzig
an speziellen Russisch-Schulen. Bereits im zweiten Schuljahr wurden Kinder mit
besonderer Leistungsfähigkeit ausgewählt, sie erhielten in den R-Klassen schon
ab dem dritten Unterrichtsjahr Russisch-Unterricht, der als Hauptfach mit
grosser Stundenanzahl bis zum Schulabschluss weitergeführt wurde. Englisch als
zweite Fremdsprache war ab der siebten Klasse obligatorisch, ab Klasse neun
konnte freiwillig eine dritte Fremdsprache erlernt werden. Leistungsniveau und
Lernatmosphäre dieser Klassen waren überdurchschnittlich gut. Deshalb bemühten
sich viele Eltern,ihren Kindern die Aufnahme in eine solche Klasse zu
ermöglichen. Abitur garantiert für die meisten Kinder der Russisch-Klasse. Das
war verlockend, meine Mutter sagte nach Absprache mit ihrem grossem Bruder,
meinem Lieblingsonkel, der Chemiedozent an der Uni Leipzig war, zu. Zeit meines
Schullebens fiel mir das Lernen leicht, es kristallisierte sich heraus, dass
ich ein aussergewöhnliches Sprachtalent besitze, das gefördert wurde. Ich nahm
am Russischzirkel der Stadt teil und gewann sogar einmal den dritten Platz bei
der Russisch-Olympiade des Bezirks Leipzig. Das fiel meinem Direktor auf, er
wollte mich als Russischlehrerin abrechnen (zur Information: der Direktor einer
Russischschule musste pro Jahr einen Russischlehrer "abliefern") und
ich war sein bevorzugtes Opfer. Einmal im Jahr -ab der 7. Klasse - musste ich
antreten und mich rechtfertigen, warum ich nicht Russischlehrerin werden
wollte. Ich sollte ab der 8. Klasse ins Internat nach Wickersdorf in Thüringen,
wo ich lernen sollte, später einmal Russisch zu lehren. Ich wehrte mich
allerdings. Der Zirkus ging jedes Jahr weiter, ich konnte ja auch auf normalem
Weg für das Lehramtsstudium gewonnen werden.
Ich war
Jungpionier mit dem blauen Halstuch, dann Thälmannpionier mit dem roten
Halstuch und ich trat auch in die FDJ ein, weil es so von allen erwartet wurde.
Meine Mutter sagte mir, dass ich sagen soll, was man hören wollte, dass dies
aber nicht unbedingt der Wahrheit entsprach. Wir hatten einige Verwandschaft im
Westen und über deren Leben informiert, mussten aber in der DDR überleben. Mein
Onkel zum Beispiel durfte nie Professor werden, da er nicht in die Partei
eintreten wollte. Er wurde nach der Wende rehabilitiert und hat dann noch
einige Jahre als Professor gearbeitet. Es ist schon komisch, wenn man nicht
seine Meinung sagen darf und sich als Kind schon zurückhalten muss. Später im
Arbeitsleben muss man es zwar auch, aber damals fand ich es schon schlimm und
es hat mich sicherlich geprägt.
Ich erinnere mich auch an die Bücher in altdeutscher Schrift, die ich von meiner Oma bekommen hatte: am Anfang hatte ich Mühe, die Schrift zu entziffern, aber die mir so fremde Welt mit Hausangestellten und Dienstmädchen - undenkbar im Sozialismus! - hat mich sehr fasziniert, obwohl der Inhalt der Bücher nicht besonders geistreich war. Man nannte sie auch "Jungmädchengeschichten", hahaha. Sowas muss man wohl auch mal gelesen haben.
Ich erinnere mich auch an die Bücher in altdeutscher Schrift, die ich von meiner Oma bekommen hatte: am Anfang hatte ich Mühe, die Schrift zu entziffern, aber die mir so fremde Welt mit Hausangestellten und Dienstmädchen - undenkbar im Sozialismus! - hat mich sehr fasziniert, obwohl der Inhalt der Bücher nicht besonders geistreich war. Man nannte sie auch "Jungmädchengeschichten", hahaha. Sowas muss man wohl auch mal gelesen haben.
Als ich 9 Jahre
alt war, zogen meine Mutter und ich zu ihrem neuen Lebensgefährten an den
Stadtrand von Leipzig in ein kleines Häuschen mit Garten. Was für ein Luxus! Er
hatte einen Wartburg, das war unser erstes Auto. Leider konnte er nicht lange
fahren, da er im Alter von 40 Jahren eine Netzhautablösung mit der Folge
Erblindung erlitt. Wir fuhren jahrelang oft nach Berlin in die Charité, wo
diverse Operationen an seinen Augen vorgenommen wurden. Im Grossen und Ganzen
kann aber gesagt werden, dass sie in Leipzig und auch an der Charité sein
Augenlicht vermurkst haben. Wäre in heutigen Zeiten wahrscheinlich nicht mehr
passiert. So ist das Leben. Meine Mutter machte also mit 40 Jahren den
Führerschein, wollte es aber nicht mit dem Wartburg aufnehmen. Ich weiss nicht
wie, aber wir schafften es, uns einen grauen Trabant zu besorgen, der uns treu
bis nach der Wende begleitete.
In der 8.Klasse
musste man einen Antrag stellen, um Abitur machen zu dürfen. Dazu musste der
Berufswunsch angegeben werden. Man riet mir, "Russischlehrerin" zu
schreiben, aber ich hatte Angst davor, da doch noch reinzurutschen und schrieb
meinen (zeitweise) wirklichen Berufswunsch "Dolmetscherin" hinein. Gravierender
Fehler. Die DDR brauchte nur 2 Dolmetscher pro Jahr. Abgelehnt. Wie bitte?
Meine Mutter ging auf die Barrikaden. Notendurchschnitt 1,2 und für's Abitur
abgelehnt? Sie ging zum Stadtschulrat und machte einen Aufstand. Antrag
genehmigt. Ich hatte nur schon keine Lust mehr, aber das war ein anderes Thema.
In den
Schulferien arbeitete ich bei meiner Mutter in der Kaufhalle (heute:
Supermarkt) und verdiente mir das Geld, mit dem ich mir dann meine erste schwarze
Lederjacke kaufte (adR: ich war Depeche Mode-Fan).
Die Wende
1988 feierte ich
die traditionelle Jugendweihe und trat in die FDJ ein. 1989 trat ich mit
einigen Freunden aus. Wir waren in dem Alter, uns Fragen zu stellen und es gab
Ärger an der Schule. Dann wurden die Leipziger Monatsdemonstrationen immer
gewaltiger, man drohte uns, wenn wir gesehen werden würden, wäre es Essig mit
dem Abitur, es würde uns verweigert werden....Ein Grund mehr, hinzugehen! Wir
fühlten uns wie Rebellen, aber nur solange, bis wir uns einige Meter entfernt
von Panzern befanden, deren Kanonen auf uns gerichtet waren....Wir gingen
wieder und wieder hin. Dennoch dachten wir nie, dass die Grenze wirklich
geöffnet werden würde. Als Günter Schabowski am 9. November 1989 eine
Pressekonferenz gab, sassen wir vorm Fernseher. Es war unfassbar. Am Samstag,
11. November 1989 blieb ich mit meiner Freundin unentschuldigt vom Unterricht
fern und wir fuhren mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Berlin. Wir holten
das Begrüssungsgeld ab und besichtigten wie so viele andere Berlin-West. Es war
sehr unwirklich. Ich gab das Geld nicht aus, kaufte mir nur eine Dose Coca-Cola
und einen Marsriegel. Wenig später fuhr ich dann mit meinen Eltern zu meiner
Tante nach Hannover, wo auch meine Eltern ihr Begrüssungsgeld abholten und ich
mir einen tollen Kassettenrecorder von meinem Geld kaufte. 1990 bekamen wir
dann auch ein Telefon, das war toll, aber vorher hatten wir ohne gelebt und das
ging auch.
Abitur
Nach Abschluss
der 10. Klasse ging es für mich 1990 auf die Erweiterte Oberschule, die später
auf Gymnasium umgetauft wurde. Die Lehrer wussten nicht, wie sie uns den
Lehrstoff aus Bayern in nur 2 Jahren eintrichtern sollten, es fehlte an
Lehrmaterialien und vielem mehr, die Lehrer waren sehr unsicher und es war eine
komische Zeit. Aus Gewohnheit machte ich mit Russisch weiter, einige andere
hörten auf, es war ja nicht mehr Pflicht. Diese komische Zeit und meine
Pubertätsphase brachten mir eine Abiturnote von 2,2 ein, was für meine
Verhältnisse nicht so gut war. Ich wollte in den Tourismus, es gab aber in
Leipzig keine Lehrstellen für weibliche Reiseverkehrskaufleute (ohne Quatsch:
Mädels wurden nicht genommen), ich bewarb mich schliesslich überall in Deutschland
für eine Lehrstelle als Hotelfachfrau und wurde in Frankfurt am Main
angenommen. Im September 1992 war ich ein Ufo an der Bergiusschule in
Frankfurt: es gab Serben, Kroaten, Türken usw. aber ich war der erste
"Ossi". Ich erinnere mich noch, wie einige Mädels zu mir sagten
"Du bist doch aber ganz normal". Hmm. Kann ich auch nix für. Ich
verkürzte die Lehre auf 2 1/2 Jahre und bewarb mich für ein Studium
BWL/Tourismuswirtschaft an der FH Harz. Der Numerus clausus war hoch, aber
durch meine Wartezeit während der Ausbildung wurde ich genommen und studierte
ab 1995 in Wernigerode. Schon während des Studiums und dann auch danach lebte
und arbeitete ich in: Kasachstan, Mexiko, Kuba, Italien und der Dominikanischen
Republik. Seit nunmehr 12 Jahren lebe ich in Frankreich. Kommt diese Reiselust
und dieses Fernweh daher, dass ich eine "eingesperrte" Kindheit
hatte? Nicht nur, aber ich denke, es hat da mit reingespielt. Das war also ein
kleiner Ausschnitt aus meinen Erinnerungen aus der DDR.